Am Anfang meiner Ausbildung mit Ende 20 hatte ich große Zweifel, dass überhaupt jemand, der auf Suche nach Hilfe ist, zu mir als Therapeuten gehen würde. Hatte ich doch mit meinem Lebensalter gerade mal ungefähr halb soviel Lebenserfahrung gesammelt, als die meisten meiner PatientInnen aus den Kliniken, die zumeist in ihren 50ern steckten, gang zu schweigen von den Ausbildern und Lehrtherapeuten, die oftmals schon deutlich über 60 waren.
Junge TherapeutInnen genauso erfolgreich wie ältere
Was mich damals allerdings überraschte war, als mir ein Bekannter auf einer Veranstaltung in Hamburg von seiner wissenschaftlichen Forschung erzählte. Er meinte, dass er die Qualität von Psychotherapie von jungen vs. Alten Therapeuten untersuchte. Das Ergebnis: Er schien keine Unterschiede in der Qualität zu geben. Das verwunderte mich sehr. Hatte ich doch erwartet, dass die älteren KollegInnen aufgrund ihrer größeren Lebenserfahrung und zudem auch praktischen Erfahrung deutlich besser abschneiden hätten müssen.
Mein Bekannter erklärte mir, dass damals so: Einerseits kommen junge TherapeutInnen mit vielem frischen Wissen aus der Ausbildung; sie kennen die neusten, wirksamsten Verfahren. Was aber noch viel wichtiger war, war die Tatsache, dass junge TherapeutInnen deutlich offener waren, als ihre älteren KollegInnen. Diese waren aufgrund ihrer Erfahrungswerte tatsächlich im Vorteil und konnten sich oft auf frühere Fälle beziehen. Ältere TherapeutInnen hatten jedoch auch eine Menge Kategorien gebildet, die das arbeiten zwar vereinfachten, aber auch schnell zu Fehlern führen konnten, weil nicht mehr so genau zugehört wurde oder auf das Individuum nicht mehr ganz so gut eingegangen wurde.
Bedingungslose Akzeptanz entscheidend
Auch bei meiner ersten Stelle in einer psychosomatischen Klinik stellte ich die Frage, was ich mit so wenig Wissen und Erfahrungen den teils schwer psychisch erkrankten Patientinnen helfen könne. Die Antwort leitenden Psychologin mag auch Aufschluss auf die Frage geben, warum junge PsychotherapeutInnen nicht unbedingt schlechtere TherapeutInnen sein müssen. Sie sagte, dass das wichtigste in der Therapie sei, dass einem einer vorurteilsfrei und annehmend zuhören würde. Würde einem das gelingen, wäre man bereits mehr Hilfe, als eigentlich alle Verwandten oder sonstiges Fachpersonal wie Fachärzte etc. Die Antwort erleichterte mich damals und leuchtet bis heute ein, weshalb ich PatientInnen auch gerne mal guten Gewissens an die Ausbildungsambulanzen AVM, WAPP, oder IPP weiterempfehle. Natürlich gab es auch in den Kliniken PatientInnen, denen es leichter fiel einer älteren KollegIn zu vertrauen, aber das war doch eher die Ausnahme.
Gründe für ein älteres Gegenüber
Es kann aber auch gute Gründe für ein älteres Gegenüber geben. Stecke ich beispielsweise in einer ganz anderen Lebensphase als mein gegenüber, haben zum Beispiel Probleme mit der Ehe oder der Erziehung der Kinder, ist es sicher einfacher von einem Menschen Verständnis zu empfangen, der diese Lebensphase selbst durchschritten hat. Aber auch bei bestimmten schambehafteten Themen oder bei Angst, es könnte sich eine Anziehung mit der TherapeutIn ergeben, wird von vielen ein Altersunterschied als entlastend wahrgenommen. Aber auch hier würde ich empfehlen zu schauen, wie sich die konkrete Situation, mit dem konkreten TherapeutIn anfühlt. Wenn nach wenigen Stunden ein Gefühl von Vertrauen entstehen kann, dann ist das ein weitaus wichtigerer Indikator für einen guten Therapieverlauf, als ein oberflächliches Merkmal wie das Alter.
Persönliches Fazit
Wenn ich heute auf meinen bisherigen Weg als Psychotherapeut zurückblicke, dann muss ich durchaus bemerken, dass sich meine Arbeitsweise über die Jahre sehr deutlich verändert hat und ich manchmal bedaure, dass ich den PatientInnen von damals nicht mit meinem heutigen Wissens- und Erfahrungsschatz weiterhelfen konnte. Kürzlich traf ich den leitenden Psychologen aus meiner ersten Arbeitsstelle. Er teilte mir mit, dass ihn damals etwas in mir angesprochen habe, was er sehr bewundert hatte: nämlich die Fähigkeit auf eine Art den Menschen zuzuhören, die so annehmend war, dass es ihn persönlich sehr berührte. Heute sind wir uns privat über viele Jahre verbunden und führen unsere Freundschaft fort. Ich glaube die Wichtigkeit des bedingungslosen Zuhörens habe ich von ihm vermittelt bekommen wie von keinem anderen Menschen, wofür ich ihm noch heute sehr dankbar bin.
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