Immer wieder kommt es mal vor, dass ich im Privaten gefragt werden, ob ich eher einen Therapeut oder eine Therapeutin empfehlen würde. Meine Antwort lautet dann eigentlich immer: „Kommt drauf an“. Worauf es ankommt möchte ich hier kurz beschreiben.

Für viele PatientInnen stellt sich die Frage nach dem Geschlecht des Gegenübers gar nicht, weil Sie hiervon eine klare Vorstellung haben. Menschen mit Missbrauchserfahrungen suchen zumeist Hilfe vom anderen Geschlecht als die missbrauchende Person. Wenn man eine klare Vorstellung hat, sollte man auch dieser Intuition folgen, weil es sonst zumeist zu starken Reaktionen in der Therapiesituation kommt, was die therapeutische Beziehung eher belastet und einen Therapieerfolg unwahrscheinlicher macht.

 

Erste Therapie besser mit dem favorisierten Geschlecht

Das ist aus meiner Sicht besonders wichtig, wenn man sich das erste Mal in eine Therapie begibt. Für die erste Therapie finde ich es am wichtigsten, dass man erstmal eine gute Erfahrung mit einer professionell helfenden Person macht. Nach so einer guten Erfahrung kann man sich dann einer größeren Herausforderung stellen und eine Person des Geschlechts wählen, zu der man vielleicht nicht direkt gehen würde. Wenn eine Person zum Beispiel vorwiegend belastende Erfahrungen mit dem Vater gemacht hat, dann wäre eine erste Therapie im Schutz einer mütterlichen Therapeutin sinnvoll und, wenn eine weitere Therapie notwendig ist, eine zweite Therapie mit einem Mann.

 

Bedeutung des Verfahrens

Aber auch das Verfahren ist entscheidend. Entscheidet man sich für ein stärker Beziehungsorientiertes Verfahren, so geht man dabei davon aus, dass es zu sogenannten Übertragungen auch in der therapeutischen Beziehung kommen wird. Das bedeutet übersetzt, dass ich mich bei einem weiblichen Gegenüber eher so fühlen, denken und verhalten werde, wie bei weiblichen Bezugspersonen aus meinem Leben (z.B. meiner Mutter, Schwester, Oma, etc.). Wie ich die Therapeutin dann erlebe bedeutet aber nicht unbedingt, dass meine Therapeutin auch so ist. Ein Teil der Therapie wird dann daraus bestehen zu schauen, was die Patientin dann mit dieser Therapeutin erlebt, indem sie unbewusst Dinge auf die Therapeutin überträgt. Wirkt die Therapeutin genauso grenzüberschreitend wie die Mutter damals, kann das in der therapeutischen Beziehung zusammen untersucht und korrigiert werden. Das ist zum Beispiel das Vorgehen in der Psychoanalyse und in der Tiefenpsychologie. In einem eher sachorientierten Vorgehen, wie der Verhaltenstherapie wird anders vorgegangen; hier ist das Geschlecht des Therapeuten zwar auch bedeutsam, aber nicht für das inhaltliche Vorgehen.

 

Stereotype Qualitäten

Mit den beiden Geschlechtern gehen in der Regel auch verschiedene Vorstellungen einher. Männer gelten als eher handlungs- und sachorientiert. Frauen gelten aus der Sicht vieler eher als beziehungs- und emotionsorientiert. Das mag in vielen Fällen auch zustimmen und sollte auch im Blick behalten werden, wenn man sich für eine Therapie entscheidet. Letztlich finde ich es bedeutsamer sich genau das gegenüber anzuschauen, das einem im Erstgespräch gegenübersitzt. Gerade in dieser Profession sollten auch die Männer eine erhebliche Kompetenz im Umgang mit Emotionen haben, ebenso wie Therapeutinnen auch eine Fähigkeit zur Versachlichung und Handlungsorientierung aufweisen sollten.

 

Persönliches Fazit

Wenn es keine eindeutige Präferenzen gibt, dann kann das Geschlecht der helfenden Person zunächst vernachlässigt werden. Deutlich bedeutsamer ist dann der persönliche Eindruck. Hier entscheidet sich, ob das gegenüber eher klassisch dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeschriebene Atribute (Gender) hat und was für einen individuell als förderlich betrachtet werden kann. Nach diesem persönlichen, erfahrungsbezogenen Eindruck würde ich auch empfehlen die Entscheidung zu treffen.